Sind die deutschen Gesundheitsämter tatsächlich noch GESUNDHEITsbehörden?

Liebe Menschen,

erneut wurden uns Insider-Informationen aus einem Gesundheitsamt in Deutschland bereitgestellt. Vielen Dank an dieser Stelle für ihren Mut an unsere Insiderin!

Die Informationen möchten wir Euch dieses Mal als Podcast und im Anschluss in Textform weitergeben.

Die große Frage, die sich nach dem Durchlesen/Anhören stellen sollte, ist:

Sind die deutschen Gesundheitsämter tatsächlich noch Gesundheitsbehörden?

Unsere Informantin spricht von mittlerweile fast vollständig fehlender Präventiv-Arbeit in verschiedenen Einrichtungen, vom Brachliegen der psychosozialen Arbeit, der betrieblichen Gesundheitsförderung usw. – kurzum davon, wie sich die Arbeitsfelder des Gesundheitsamtes mittlerweile verschoben haben oder auch ganz abhanden gekommen sind. Sie thematisiert auch, wie sich das Miteinander und die Kommunikation zwischen Behörden und Bevölkerung massiv verändert hat. Und sie erzählt, welche Angst in der Bevölkerung ihrer Ansicht und Erfahrung nach am meisten vorherrscht: Es ist nicht etwa die Angst vor dem Virus, sondern die Angst, etwas falsch zu machen und den daraus folgenden, möglichen Repressalien. Es ist noch viel mehr, was sich tagtäglich in deutschen Gesundheitsämtern abspielt, doch hört selbst:

 

An dieser Stelle möchten wir auch Philine Conrad danken, welche uns den Text eingesprochen hat. Vielen Dank für Deine Unterstützung!

Hier für Euch der Bericht in Textform, ungekürzt und unverändert:

„Vor einigen Tagen hatte ich Kontakt zu den „Mutigmachern“ aufgenommen. Kurz danach hatten wir dann schon ein sehr nettes und für mich hilfreiches Gespräch über Zoom. Sie haben mich dazu ermutigt, meine Erfahrungen niederzuschreiben. Um meinen Arbeitsplatz nicht zu gefährden möchte ich anonym bleiben.

Ich bin Dipl. Sozialpädagogin, verbeamtet und arbeite seit vielen Jahren an einem Gesundheitsamt. Ich hatte nie ein Problem damit, eine „Beamtin“ zu sein und habe damals ohne Zögern Verfassungstreue geschworen. Dazu stehe ich.

Vor Corona hatte ich eine gute Zeit am Gesundheitsamt und ich dachte, ich würde bis zu meiner Pensionierung dort arbeiten. Ich hatte eine vielfältige und abwechslungsreiche Tätigkeit, die ich sehr frei gestalten konnte und das noch dazu mit einem sehr engagierten Team, das menschlich und fachlich gut harmonierte. Meine Schwerpunkte lagen in der psychosozialen Beratung, Beratung in besonderen gesundheitlichen Lebenssituationen, Beantragung von finanziellen Hilfen, in der Durchführung von Präventionsveranstaltungen, in der betrieblichen Gesundheitsförderung, in der Kontrolle von stationären Einrichtungen, und in der Teamleitung der Sozialpädagogen.

Seit März 2020 hat sich alles verändert: Begehungen von stationären Einrichtungen, Präventionsveranstaltungen, Gesundheitstage – all das gibt es nicht mehr. Psychosoziale Beratung findet nur noch selten und eingeschränkt statt.

Ich bin seit Beginn der Pandemie fast ausschließlich im Infektionsschutz tätig und bin wie 11 andere Mitarbeiter des Gesundheitsamtes und des Ordnungsamtes am „Infotelefon“, das an sieben Tagen die Woche erreichbar ist. Nicht nur die Mitarbeiter am Infotelefon, alle Kollegen die nun im Infektionsschutz arbeiten (und das sind fast alle Mitarbeiter des Gesundheitsamtes), haben Überstunden ohne Ende. Ich weiß, dass es in manchen Städten an den Gesundheitsämtern zu keinem Zeitpunkt zu einer Überlastung kam, und kann nur Vermutungen anstellen an was es liegt. Bei uns war es so, dass viele meiner Kollegen an ihre Belastungsgrenze gegangen sind, teilweise auch darüber hinaus. Ich weiß von Kollegen, die Psychopharmaka nahmen um den Druck noch standhalten zu können. Ab Spätsommer 2020 wurde bei uns das Team für das sogenannte „Contact Tracing“ sehr aufgestockt, seitdem hat sich die Situation in manchen Bereichen etwas entschärft.

Beim Infotelefon rufen Menschen an, die irgendwelche Fragen zu Corona haben. Es gibt sehr viele Fragen zu Verordnungen. Besonders die EQV ist mittlerweile mit den vielen Ausnahmen und ständigen Veränderungen und Zusätzen nicht mehr verständlich. Das führt dazu, dass viele Menschen extrem verunsichert sind in dem was sie noch dürfen, und dann aus Angst dazu tendieren, die Vorgaben strenger auszulegen, als sie eigentlich sind. Viele trauen sich nicht mehr ins Ausland um z.B. nahe Familienangehörige zu besuchen. Wenn man nachfragt, steht dabei dann meist nicht die Angst vor einer Infektion im Vordergrund, sondern der Umstand, dass sie sich den ganzen Auflagen nicht mehr gewachsen fühlen, bzw. diese schon gar nicht mehr verstehen.

Die Sorge irgendetwas falsch zu machen ist bei fast allen Anrufern zu spüren. Symptomlose Kontaktpersonen in Quarantäne, die anrufen um zu fragen, ob sie eigentlich ihren Müll aus der Wohnung bringen dürfen, wenn sie hierzu durch das Treppenhaus eines Mehrfamilienhauses gehen müssten. Häufig die Frage, ob man auch in Quarantäne müsse, wenn man zu einer Kontaktperson Kontakt hatte. Anrufer die wissen wollen, ob sie Familienangehörige in einem anderen Bundesland noch besuchen dürfen. Anrufer die fragen, wie sie ihr Kind am besten in der Wohnung isolieren, wenn es als Kontaktperson (z.B. zu einem positiv getesteten Freund außerhalb der Familie) in Quarantäne muss. Anrufer, die meinen, sie und ihre gesamte Familie müssten schon aufgrund eines positiven Selbst- oder Schnelltests in Quarantäne.

Es gibt Anrufer die sich im Dienste der „Volksgesundheit“ – ja, so habe ich das schon gehört – bei uns melden. Sie teilen mit, dass sich ihre Nachbarn nicht regelkonform verhielten. Dass diese z.B. nach der Ausgangssperre noch auf der Straße waren, dass diese sogar Besuch hatten! Häufig sind es Menschen, die sich gut ausdrücken können und betonen, dass sie „so etwas“ normalerweise nicht tun würden, dass dieses Verhalten der Nachbarn aber nun doch zu weit gehe und schließlich ginge es ja um unser aller Gesundheit…. usw. Wir bekommen Mails, in denen Kunden vermeintliche Regelverstöße von Geschäften, Friseursalons, Fahrschulen usw. melden.

Schulleiter die mir mitteilen, dass sie die Rechtmäßigkeit eines vorgelegten Attestes zur Maskenbefreiung anzweifeln, weil die Eltern des Schülers sowieso schon immer so querulatorisch seien und weil der Arzt ja auch bekannt dafür sei, Gefälligkeitsatteste auszustellen.

Ich habe Anrufe von Menschen, die verzweifelt sind, weil sie an einer chronischen Lungenerkrankung leiden und mit der FFP2 Maske nicht genug Luft bekommen. Sie fragen was sie noch tun könnten, weil sie trotz nachgewiesener Indikation keinen Arzt finden, der ihnen ein Maskenbefreiungsattest ausstellt.

Menschen die fassungslos sind, weil sie Familienangehörige nicht mehr unbeobachtet im Altenheim besuchen, oder diese für einen Tag zu sich nach Hause holen können. Aus Angst sich „neue Fälle“ ins Haus zu holen, greifen manche Einrichtungsleitungen zu Methoden, die vor Corona vermutlich noch als „freiheitsentziehende Maßnahme“ einen richterlichen Beschluss gebraucht hätten. Eine Anruferin berichtete davon, dass sie beobachtet habe, dass noch rüstige und kognitiv fitte Bewohner mittels körperlichem „Einsatz“ von Pflegekräften daran gehindert wurden, vor die Türe zu gehen. Ein Anrufer der berichtet, dass ein Bewohner 14 Tage Zimmerquarantäne habe, weil er außerhalb des Heimes kollabierte sei und ihm deshalb kurz die Maske abgenommen werden musste.

Ich habe mich darüber auch schon mit einem befreundeten Richter unterhalten. Auch er sieht das alles sehr kritisch. In manchen Einrichtungen scheint so etwas wie ein rechtsfreier Raum zu entstehen. Aber wo kein Kläger da kein Richter! Ich will die Heime nicht unter Generalverdacht stellen, viele versuchen wirklich ihr Bestes um den Bewohnern eine gute Wohn- und Lebensqualität zu erhalten. Viele Pflegekräfte reiben sich derzeit psychisch und physisch völlig daran auf, manche rufen bei uns an und erzählen anonym von ihrem belastenden Arbeitsalltag. Die Einrichtungsleiter stehen als Verantwortungsträger unter massiven Druck und aus einer Form von „Absicherungsdenken“ heraus, werden teilweise völlig unverhältnismäßige Maßnahmen getroffen. Manchmal strenger als die Verordnungen selbst und dann begründet mit dem Hausrecht. Ein Einrichtungsleiter meinte einmal im Gespräch mit mir, dass er sich einen Strick nehmen würde, wenn es bei ihm in den Wohngruppen zu einem Ausbruch kommen würde.

Seit Januar haben die Anrufe bezüglich der Impfung ständig zugenommen. Hierbei geht es meist um die Priorisierung. Anrufer, die unbedingt schneller geimpft werden wollen und nachfragen, was sie tun könnten um schneller zum Zuge zu kommen. Zudem bekommen wir am Telefon eine große Aggression zu spüren: von denen, denen alles nicht schnell genug geht mit dem Impfen und denen die Maßnahmen nicht weit genug gehen. Dass uns dann gesagt wird, dass wir persönlich schuld daran seien, wenn die kranke Ehefrau, die betagte Mutter oder der Vater nun an Covid19 sterben, ist leider keine Seltenheit.

Ich könnte hier noch so viel mehr erzählen. Schilderungen, bei denen es mir schwer fällt wirklich zu realisieren, dass dies gerade hier in diesem Land passiert.

Wir bekommen in unserer Funktion als „Staatsdiener“ aber auch die Wut von Anrufern ab, die die Maßnahmen hinterfragen, kritisch sind und sich auflehnen. Beim Ministerium erreichen sie telefonisch niemand, deshalb laden sie ihren – oft verständlichen – Ärger bei uns ab.

Manchmal wird von Anrufern minutenlang in den Hörer geschrien und wir werden wüst beschimpft. Durch die vielen Jahre Erfahrung in meinem Beruf, beherrsche ich deeskalierende Gesprächsführung, aber es gibt Grenzen und ich würde mir für meine Kollegen und mich ein bisschen mehr Freundlichkeit im Umgang wünschen.

Andererseits bin ich sehr verwundert darüber, wie unhinterfragt und unkritisch es meist hingenommen wird, wenn jemand z.B. als asymptomatisch Getesteter mit einem CT Wert von 36 eine Quarantäneanordnung von 14 Tagen erhält. Kaum Widerspruch. Auch selten einmal Widerspruch von den dazugehörigen Kontaktpersonen dieser „Indexperson“ die dann folglich auch 14 Tage in Quarantäne müssen! Auf vielen Befunden wird er CT Wert nicht ausgewiesen. Aber bei denen die ich sehe, liegt der CT Wert sehr häufig über 30.

Die Bestimmungen zur Kontaktpersonenermittlung sind vom RKI vor ein paar Wochen noch einmal massiv verschärft worden. Noch vor ein paar Wochen reichte es, wenn man als Kontaktperson eine FFP2 Maske getragen hatte um nicht in Quarantäne zu müssen. Ein Beispiel nach den neuen Richtlinien des RKI: Quarantänepflicht von 14 Tagen nach Aufenthalt von Kontaktperson und „Fall“ im selben (schlecht belüfteten) Raum. Unabhängig vom Abstand, auch wenn durchgängig eine FFP2 Maske getragen wurde. Man kann sich vorstellen, was das für Betriebe bedeutet, in denen z.B. viele Mitarbeiter in Werkhallen arbeiten. Ich glaube dadurch entsteht ein großer Handlungsdruck auf Personalverantwortliche z.B. regelmäßige Tests anzubieten, schon allein um Ausfälle wegen Quarantäneanordnungen zu vermeiden.

Ausnahmen von dieser Regelung gibt übrigens bei medizinischem Personal. Bei dieser Personengruppe reicht das Tragen einer FFP2 Maske, um trotz Kontakt nicht in Quarantäne zu müssen. Der Hintergrund für dieses Vorgehen ist natürlich, dass nicht zu viel med. Personal und Pflegepersonal aufgrund von Quarantänemaßnahmen ausfallen darf. Es gab noch weitere Verschärfungen: Die max. Kontaktzeiten die bisher noch keine Quarantäneanordnung nach sich zogen, wurden verkürzt. Von max. 15 Minuten „face to face“ Kontakt auf max. 10 Minuten. Usw.

Vor wenigen Tagen wurde ja nun von unserem Gesundheitsminister verkündet, dass es Erleichterungen für Geimpfte geben soll. Unter anderem, dass diese als Kontaktperson nicht mehr unter Quarantäne gestellt werden müssen. Mir drängt sich der Eindruck auf, dass man auch hier durch die Verschärfung der Vorgaben einerseits und durch die Gewährung von Vorteilen für die Geimpften andererseits, noch einen Anreiz mehr schaffen möchte, um sich impfen zu lassen.

Natürlich ist auch unter der jetzigen Situation nicht alles schlecht an meiner Arbeit:

Es gibt nette Anrufer mit denen man sich gut unterhalten kann, die auch uns Mitarbeitern gegenüber freundlich und empathisch sind. Es gibt skurrile und lustige Gespräche, die auch immer wieder für leichte und heitere Momente sorgen. Kollegen, die mir menschlich wichtig sind und mit denen ich so lange gerne zusammengearbeitet habe.

Ab und zu ergibt sich die Gelegenheit, dass ich jemanden warnen kann, wenn ein Anrufer (nennen wir ihn Denunziant) irgendeinen Regelverstoß „melden“ möchte und bei mir nachfragt, wie und wo er das am besten tun könnte. Ich warne dann anonym mittels eines Briefes oder eines Anrufes mit unterdrückter Nummer.

Ich freue mich, wenn ich merke, dass ich vielleicht ein klein bisschen dazu beitragen konnte, bei einem Anrufer die Angst zu vermindern. Und bei fast allen Anrufern steht Angst im Hintergrund:

Die Angst vor dem Virus, die Angst nicht schnell genug geimpft zu werden, die Angst irgendeine Vorgabe nicht richtig verstanden zu haben und etwas falsch zu machen und dann von anderen stigmatisiert zu werden oder ein Bußgeld bezahlen zu müssen. Dann gibt es Anrufer die Angst haben, dass sie vielleicht als unbemerkt asymptomatischer „Ausscheider“ jemanden infizieren könnten, der dann im schlimmsten Fall an einem schweren Verlauf sterben könnte.

Ich versuche alle Ängste ernst zu nehmen – Menschen haben ihre Erfahrungen und ihre Gründe für ihre Ängste und es steht mir nicht zu, hier eine Wertung vorzunehmen. Natürlich fällt dies nicht immer leicht. Wenn z.B. eine gesunde 30-jährige Frau anruft und mir erzählt, dass sie sich aus Angst vor einer Infektion, seit März 2020 nicht mehr in den Supermarkt wagt und sich deshalb alle Lebensmittel über Amazon liefern lässt. Ich respektiere ihre Angst und nehme die Anruferin ernst. Ich habe sie dann gefragt, ob denn in ihrem Bekanntenkreis jemand wäre, der an schwer an Covid erkrankt oder sogar gestorben sei. Nein, natürlich nicht.

Ich habe diese Frage schon sehr häufig Anrufern gestellt und bisher habe ich darauf noch nie die Antwort „ja“ bekommen. Wenn ich dann weiter frage, ob man denn jemand im Bekanntenkreis kenne, der im letztem Jahr an etwas Anderem verstorben sei, dann kommt meinst eine Aufzählung – Herzinfarkte, Krebserkrankungen, ja – auch Suizide. Es fehlt wie überall die Verhältnismäßigkeit und die Einordnung in uns bekannte Lebensbezüge.

Manchmal ergeben sich auch längere, schöne Gespräche und ich lasse die Menschen dann einfach erzählen, wenn ich merke, dass ihnen das gut tut. Das sind die wenigen Situationen, die noch annähernd mit meiner eigentlichen Profession zu tun haben.

Wenn man in Zeiten von Corona von einer „vulnerabler Gruppe“ spricht, dann ist das immer im Zusammenhang mit einer besonderen Gefährdung hinsichtlich einer Infektion mit schwerem Verlauf also z.B. alten Menschen in einem Pflegeheim. Was man nicht oder viel zu wenig beachtet ist, dass viele Heimbewohner, also die, die man eigentlich schützen möchte, durch die massiven Einschränkungen in ihrer Tagesstruktur, ihren Lebensmut und Lebenswillen verlieren. Sie können nicht verstehen, warum z.B. ihre Angehörigen sie nicht mehr ungehindert besuchen, wieso Gruppenangebote nicht mehr stattfinden können. Ein Einrichtungsleiter hatte mir dies kurz nach Weihnachten in einem Gespräch auch so bestätigt. Er meinte, dass bei ihm in der Einrichtung keine Personen an Corona gestorben wären, dass es aber mehr Todesfälle als üblich gäbe, weil die Bewohner durch die ihnen auferlegten Einschränkungen den Lebenswillen verloren hätten. Jeder der in irgendeiner Form – sei es familiär oder beruflich – mit Demenzkranken zu tun hat weiß, wie wichtig hier menschliche Zuwendung, Körperkontakt und nonverbale Kommunikation ist, dass man Menschen mit fortgeschrittener Demenz oft nur noch damit erreichen kann.

Vulnerabilität war auch in der sozialen Arbeit schon immer ein Begriff. In diesem Zusammenhang meinte man Individuen und Gruppen die z.B. eine stärkere seelische Verletzlichkeit mit sich bringen. Menschen in Lebenskrisen, Menschen mit Suchterkrankung, Menschen mit psychischer Beeinträchtigung. Auch Kindern und Jugendlichen sind in verschiedenen Entwicklungsphasen besonders vulnerabel. Im Wissen um diese Vulnerabilität ging es mir in der Prävention immer darum, Resilienz zu fördern. Egal ob in der Suchtprävention, in der Gesundheitsförderung, oder bei Veranstaltungen zur Förderung der seelischen Gesundheit. Ist das jetzt alles nicht mehr wichtig? Welche Art von Gesundheit soll hier geschützt werden? Oder geht es hier vielleicht gar nicht mehr um Gesundheit?

Ein weiteres Ziel unserer Präventionsveranstaltungen war es, Menschen zu ermutigen sich professionelle Unterstützung zu holen, wenn sie alleine ihre Probleme nicht mehr bewältigen können. Bei uns im Bezirk gibt es sehr gute niederschwellige Hilfsmöglichkeiten und ein stabiles Beratungsnetzwerk. In „normalen“ Zeiten hatten wir im Psychosozialen Beratungsdienst häufig Anrufe von Menschen, die für sich oder Angehörigen einen Gesprächstermin vereinbaren wollten. Diese Anfragen finden kaum mehr statt. Ich habe noch keine wirklich gute Erklärung dafür gefunden, warum das so ist. Nachdem die Psychiatrien und Fachkliniken aber überlastet sind vermute ich, dass niederschwellige Ansätze während Pandemiezeiten mehr oder weniger ausgeblendet werden. Ich frage mich, was derzeit aus den vielen Menschen wird, die z.B. ein Suchtproblem haben, wenn deren stützendes soziales Umfeld und stabilisierende Gruppen wegbrechen? Ob online Treffen von Selbsthilfegruppen ein adäquater Ersatz sind, sei dahingestellt. Aber vielleicht ist es ja besser als nichts.

Ich fürchte, dass sich viele Problemlagen in der langanhaltenden sozialen Isolation chron ifizieren. Menschen mit Depression, Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund bei denen derzeit der Spracherwerb stagniert, Kinder in schwierigen familiären Verhältnissen usw. Manches lässt sich auch nicht irgendwann einmal nachholen.

Bei diesem anhaltenden Angst- und Stressniveau sind wir alle irgendwann vulnerabel. Die Einschränkungen treffen uns alle und ich bemerke in meinem privaten und beruflichen Umfeld schon länger diesen Nebel von gedrückter Lebensfreude.

Im Frühjahr 2020 dachte ich zunächst auch noch, dass es sich um eine gefährliche Pandemie handeln würde und ich fand es gut und richtig, dass man erst einmal sehr vorsichtig war. Seit Jahren wurden wir ja schließlich gewarnt, dass irgendwann eine weltweite Pandemie kommen würde. Ich glaubte, was wir alle glauben sollten. Meine ersten Zweifel kamen auf, als ich im Mai 2020 das Strategiepapier „Wie wir Covid 19 unter Kontrolle bekommen“ des Bundesinnenministeriums gelesen hatte. Eine Strategie, die darauf aufbaut die Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen, statt Zuversicht zu verbreiten? Ich hatte auf eine Kampagne der Bundesregierung gehofft, die darüber aufklärt, wie Menschen z.B. durch Sport, gesunde Ernährung etc. ihr Immunsystem stärken können!

Ich bin noch immer dafür, dass Menschen mit Vorerkrankungen vor einer Infektion mit Coronaviren geschützt werden müssen, wie vor anderen Viren und Beeinträchtigungen auch. Wenn die Nutzen-Risiko Abwägung ergibt, dass eine Impfung diese Personen schützen kann und sie das selbst auch möchten, dann halte ich das für eine Option. So wie wir in der Vergangenheit auch damit umgegangen sind: Wer sich impfen lassen will, soll sich impfen lassen. Wer für sich entscheidet, dass er das nicht möchte, darf dadurch keine Nachteile haben. Wieso sollte dies nun anders sein?

Wie sich gezeigt hat, handelt es sich ja nicht um einen Killervirus und das Risiko an Corona schwer zu erkranken oder gar zu sterben, ist für den größten Teil der Bevölkerung extrem gering. Von einem ärztlichen Kollegen habe ich die Auskunft bekommen, dass beim örtlichen Klinikum die Lage weder besonders angespannt noch dramatisch sei, zumindest nicht wegen an Covid19 erkrankter Personen.

Es gibt leider auch bei uns im Team eine Spaltung im Umgang mit der gesamten Krise und man ist vorsichtig, wem man was sagt. Es ist wie überall in der Gesellschaft.

Ich habe mich entschieden mich nicht impfen zu lassen. Ich bin nicht von der Notwendigkeit einer Impfung überzeugt. Und ich werde mich nicht impfen lassen, nur um einen Teil meiner ursprünglichen Rechte wieder zu bekommen! Bisher dachte ich, dass ich spätestens dann kündige, wenn mir eine Impfung zur Auflage gemacht wird, um vielleicht irgendwann wieder meiner ursprünglichen Tätigkeit nachgehen zu können. Aber ich merke seit einigen Wochen, dass ich schon vor dieser „roten Linie“ einen Schlussstrich ziehen möchte. Dieser andauernde Spagat zwischen meinen Wertvorstellungen und dem was ich nach außen vertreten muss, kostet unglaublich viel Energie.

Ich persönlich hatte zu keinem Zeitpunkt Angst vor diesem Virus. Ich habe ein Immunsystem das mich in meinem bisherigen, nicht mehr ganz jungen Leben, gut geschützt hat. Es gab zwei Fälle in meinem Verwandten- und Bekanntenkreis, die sich gleich im April 2020 infizierten und auch starke Symptome hatten. Sie sind aber wieder vollständig gesund und nehmen keinerlei Langzeitfolgen an sich wahr. Ich habe einige Bekannte und Verwandte die schon eine Impfung erhalten haben, teilweise berichten sie von starken Nebenwirkungen durch die Impfung.

Mir macht es Angst, wenn ich sehe, was sich innerhalb eines Jahres in dieser Gesellschaft verändert hat. Wo bleibt die Menschlichkeit, die Menschenwürde, die Selbstbestimmung? Dieser völlige Abbau von Kultur, der vielen Künstlern nicht nur die finanzielle Existenz entzieht, sondern auch einen Teil ihrer Identität. Die wirtschaftlichen Schäden bei so vielen Betrieben. Was ist geschehen mit dem Recht, die Meinung frei zu äußern, ohne gleich einen Stempel einer rechten Gesinnung oder als unsolidarischer Coronaleugner aufgedrückt zu bekommen? Dass sich in so kurzer Zeit eine tiefe Spaltung der Gesellschaft ergibt, hätte ich nie für möglich gehalten! Ich halte das für sehr gefährlich und mache bei dieser Spaltung nicht mit. Ich halte die Betitelung von Menschen mit Begriffen wie „Schlafschafe“, „Coronazis“, „Covidioten“, „Gutmenschen“ usw. für sehr schädlich, weil dies letztlich die Gräben nur noch weiter vertieft. Ich versuche im Gespräch zu bleiben mit Menschen, die meine Meinung nicht teilen. Grundvoraussetzung hierfür ist allerding, dass mein Gegenüber auch meine Meinung respektiert. Unter diesen Voraussetzungen halte ich den Austausch für sehr wichtig.

„Ich mach da nicht mehr mit!“ heißt ein Format von Gunnar Kaiser und ich trage diesen Satz seit einiger Zeit als konstantes Hintergrundrauschen in meinem Kopf mit mir herum. Ich zolle jedem, der den Mut findet ein öffentliches Statement abzugeben, höchsten Respekt und bewundere den Mut!

Mich haben die „Mutigmacher“ ermutigt mich – wenn auch anonym – zu äußern und ein paar Einblicke in die Situation zu geben, wie ich sie seit März 2020 am Gesundheitsamt erlebe. Wenn ich hier meine Identität preisgeben würde, wäre mein Arbeitsplatz mit großer Sicherheit in Gefahr und das kann ich mir jetzt im Moment einfach nicht leisten.

Ich überlege seit Wochen, welche Alternativen ich habe. Meine Motivation mich bei einer anderen Beratungsstelle z.B. bei einem freien Träger zu bewerben ist gering, weil ich dort – meiner pessimistischen Einschätzung nach – in absehbarer Zeit mit dem Erfordernis einer Impfung konfrontiert werde. Mein Beruf ist naturgemäß ein „Kontaktberuf“ und fast alle Menschen mit denen ich in der sozialen Arbeit zu tun habe, gelten mittlerweile als durch Covid 19 besonders Gefährdete.

Auch wenn ich im Moment noch sehr unklare Vorstellungen davon habe, wie es für mich beruflich weitergehen kann, steht für mich fest, dass ich meine derzeitige Tätigkeit so bald wie möglich aufgeben werde, da ich sie nicht mehr mit meinem Gewissen und mit meinen Wertvorstellungen in Einklang bringen kann.“

Wir hoffen, wir können Euch mit diesem – mittlerweile dritten – Einblick in Deutschlands Gesundheitsämter weitere aufschlussreiche Impulse geben. (Teil 1 und Teil 2)

Bleibt stark und haltet durch! Falls Ihr weitere Insider kennt oder gar selbst einer seid, gebt bitte unsere Kontaktmöglichkeiten weiter und/oder meldet Euch bitte bei uns!

Friedvolle Grüße,
Eure Mutigmacher